Buchhändlerkeller Berlin
Lesung "Mensch, Henry!" Juni 2018
Einen ganz besonderen Dank an Jürgen Tomm für diese Einführung zur Lesung!!!
Ich bin Jürgen Tomm und ich begrüße Sie herzlich im Buchhändlerkeller.
Ich tue das als einer der Hausherren hier und der für das Programm Verantwortlichen, nicht aber als Ihr Gastgeber. Das sind der Autor Henry Nielebock selbst und sein Verleger Jürgen Strauss.
Willkommen im Buchhändlerkeller!
Jürgen Strauss war es, der uns für das Buch „Mensch Henry!“ mit dem ominösen Untertitel „self-debunking” interessiert hat, und Wikipedia hat mir den Pressetext dazu dann auch tatsächlich lapidar bestätigt:
Hans Jürgen Nielebock geboren am 11. Juli 1943 in Berlin, ist ein deutscher Architekt, Musiker, Filmemacher, Rennfahrer und Autor. Wie - hab ich spontan gedacht - Modeschöpfer oder Starfotograf ist er nicht? Aber egal, mit dieser Aufzählung ist er sowieso einmalig im ganzen Wikipedia, auch wenn er das alles nicht mehr ist – außer dem Autor. Das kommt gleich.
Erst einmal: herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag! Ich meine das ganz direkt, denn so viele Chancen, dieses Alter nicht zu erreichen hat sich selten einer erarbeitet: Im Drogen-Milieu der Schlager-, Rock-Jazzmusik vorzeitig das Nirwana zu betreten. Im Senatssumpf der Bau-Mafia einzusinken und zu ersticken oder vom Edelblech eines Porsche ganz zerquetscht zu werden. Sein Schutzengel muss verdammt hart im Nehmen sein. Auch dazu meinen Glückwunsch!
Apropos Autor. Hatte Henry Nielebock bisher Anteil am literarischen Leben als Autor von Fachbüchern zum Thema Architektur, erheben wir ihn nun in den Adelsstand des „Erzählers“. Mit unserer 50-jährigen Tradition als Veranstalter von Lesungen und anderen literarischen Events dürfen wir das, und ich darf das auch, denn bevor ich für mehr als 30 Jahre lang Kulturredakteur und Redaktionsleiter beim SFB- Fernsehen wurde, war ich Lektor und hätte dieses Buch heute jedem Verleger sehr empfohlen - als locker erzählte die Kindheits-und Jugendgeschichte, und als selbstkritische und zugleich kritisch-analytische Zeitreise für die Zeit danach: Wie der Autor darin nach links und rechts austeilt, das tut richtig weh und soll es auch:
Von der - bei aller Bewunderung - doch schwer erträglichen Unehrlichkeit eines Drafi Deutscher über die trostlose Blauäugigkeit der Studentenbewegung und die Weigerung der Studenten, vor der Revolution wenigstens etwas Fachwissen zu erwerben, bis zur legendären Verfilzung im Bereich Berliner Bauwesen und Stadtplanung. Er kennt aber auch hohe Anerkennung und liebevolle Verehrung, etwa für Julius Posener oder den Filmtycoon, dann auch Schwiegervater Horst Wendlandt, auch Achtung für den einen oder anderen Bauherren.
Ich habe ganz rasch die nötige Stadtrundfahrt zu einigen seiner Bauten nachgeholt, natürlich denjenigen, die am häufigsten in Bau- und anderen Zeitschriften zitiert wurden - und auch in diesem Buch: Cunostrasse, Grainauer, Rauchstrasse, Hagenplatz. Erstaunlich, wie viel Fantasie im Wohnungsbau noch herrschen durfte! Und trotzdem hat ihn irgendwann das Schamgefühl vor so viel eigener Anpassung an Filz und Ignoranz befallen und zum Absprung gedrängt. Das war geradezu heroisch. Aber genau das will er nicht zulassen:
„Self-debunking“ interpretiere ich als ein Sich-selbst-vom-Sockel-Holen, als kleine Entheroisierung der eigenen Erfolge und auch der eigenen Pleiten, Pechs und Pannen.
Was ich aber am meisten in diesem Buch mag, ist die völlige Unsentimentalität, das Fehlen aller Larmoyanz: Sollte nicht sein, ging nicht länger, Klappe zu, Affe tot – beste Berliner Tugend. Und das scheint nicht im Widerspruch zu stehen zu einer gewissen sportlichen Extravaganz und auch nicht zu einer offenbaren Großzügigkeit. Sehr beeindruckend.
In einer Live-Sendereihe, deren Co-Moderator ich jahrelang war, sagte der Hauptmoderator Prof. Wapnewski zu dem von mir vorgeschlagenen Gast Ephraim Kishon zur Begrüßung, er habe vor der Vorbereitung auf diese Sendung tatsächlich noch nie ein Buch von Ephraim Kishon gelesen. Darauf sagte der eigentlich nicht zur Schlagfertigkeit neigende Kishon: „Und ich habe noch nie was von Professor Wapnewski gehört“
Lieber Dr. Nielebock – Sie kannten mich nicht, ich wusste vorher wenig von Ihnen: Sind wir quitt?
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Literaturhaus Berlin
Lesung "Mensch, Henry" März 2018
Vielen Dank an "Offene Blende" für die tollen Fotos auf dieser Seite!